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Interview mit Scorpions-Gitarrist Rudolf Schenker

Bonedo: Rudolf, als Rhythmusgitarrist bist du der Steuermann der Scorpions, du gibst das Steuer nie aus der Hand.
Mein Freund Uli Jon Roth (Mitglied der Scorpions von 1973 – ´78) hat mich mal beobachtet, als ich Soli konzipiert habe, von denen einige auf den TOKYO TAPES (1978) gelandet sind. Er sagte: „Es ist besser, ein guter Rhythmusgitarrist zu sein als ein schlechter Leadgitarrist.“ Damit wollte er mir nicht sagen, dass ich ein schlechter Leadgitarrist bin, sondern dass ein guter Rhythmusgitarrist – wie Malcolm Young und Keith Richards – den Sound entscheidend prägt. Dazu kommt, dass es mir beim Komponieren unheimlich geholfen hat, in Rhythmen zu denken. So konnte ich meine Songs vollständig präsentieren, und der Leadgitarrist konnte sich total entfalten. Wenn ihm nichts einfiel, hab ich mich schon mal hingesetzt und ein paar Soli hingekriegt, die gefühlvoll und prägnant waren – und darum geht es im Rock.
B: Das Vorgängeralbum „Humanity Hour I“ (2007) klang sehr amerikanisch, ein typisches Desmond-Child-Album. Ist das aktuelle Album „Sting In The Tail“ eine Distanzierung vom amerikanischen Sound?
Desmond Child hat sich zum Perfektionisten entwickelt, Perfektion ist langweilig. Mit „Unbreakable“ (2004) waren wir schon auf dem Weg für das neue Album „Sting In The Tail“, aber Desmond Child hatte eine gute Konzept-Idee. Uns gefiel es auch, in Los Angeles aufzunehmen, alles passte. Es war der richtige Zwischenschritt, um dann den richtigen Schritt zu gehen. In Los Angeles arbeiteten wir mit Personal-Trainer und Vocal-Coach und was weiß ich noch alles, ein halbes Jahr lebten wir ein perfektes Hollywood-Dasein.

Diesmal haben wir uns gesagt, jetzt machen wir es genau andersrum. Wir nehmen bei mir im Studio auf und haben die Schweden Mikael „Nord“ Andersson und Martin Hansen geholt. Mikael ist großer Scorpions-Fan. Beide sind der Meinung, die Essenz der Scorpions liegt in den Alben „Lovedrive“ (1979), „Blackout“ (1982) und „Love At First Sting“ (1984). Da müssen wir wieder hin, sagten sie. Da haben wir voll zugestimmt. Es war ein geiles Gefühl, locker an die Sache ran zu gehen, Martin ist ein guter Sound-Ingenieur, Mikael ein sehr guter Gitarrist, der uns als Gitarristen in den Arsch getreten hat, um die Art herauszukitzeln, die eigentlich immer in den Scorpions war.

Fotostrecke: 5 Bilder Tokyo Tapes (1978)
In den Achtzigern, als Heavy Metal und Classic Rock angesagt waren, hatte die Gitarre eine ganz wichtige Funktion. Als Grunge kam, ist das verloren gegangen, weil die Message wichtig war und weil die alte Classic-Rock-Gitarre out war. Dadurch ist man – am schlimmsten war es bei „Eye II Eye“ (1999) – als Gitarrist in die Begleitrolle gerutscht. Das war aber für die Stimme von Klaus (Meine) gar nicht gut, seine schön klingende Stimme braucht die Reibung mit einem harten Riff. Mit dieser Reibung ergibt sich eine ganz besondere Chemie. Diese Chemie haben wir hier mit den richtigen Songs. Wenn man die besten Songs aus den Achtzigern von den verschiedenen Platten zusammentragen und auf eine Platte nehmen würde, hast du „Sting In The Tail“.
B: Es fällt auf, dass Klaus sein Timbre für die letzten Alben zurückgenommen hat.
Wahrscheinlich hat er mehr Gewalt darüber und ist sich dessen mehr bewusst. Früher hat er das extrem stark gemacht, fast schon überzogen, was ja auch nicht schlecht war, aber das macht es künstlich. Jetzt, wo er es weiter zurücknimmt, klingt sein Gesang rauer.
B: Übst du jeden Tag Gitarre?
Nicht mehr. In den Neunzigern hab ich sehr viel komponiert, mit der Brechstange, wie ein Verrückter. Klaus wusste gar nicht mehr, was er an Texten dazu schreiben sollte. Dann habe ich gemerkt, dass dieses dauernde Komponieren und Gitarrespielen auch nicht das Wahre ist.
Gute Musik wird kreiert, indem man versucht, musikalische und geistige Lebenserfahrung zu integrieren, das Ziel ist ein außergewöhnlicher Sound. Den bekommt man nicht, indem man übt wie ein Wahnsinniger! Ganz im Gegenteil, man driftet von den Leuten weg, weil man so gut wird, dass sie einen nicht mehr verstehen. Man ist nicht mehr auf der Frequenz seiner Fans oder Zuhörer, man verliert den Straßen-Slang.
B: Du besitzt ca. 200(!) Gitarren. Wie viele Gitarren braucht man eigentlich?
Wir brauchen eine ganze Menge. Wir haben drei verschiedene Rigs, wir spielen auf der ganzen Welt, und jedes Rig hat ungefähr 18 bis zwanzig Gitarren. Wir haben akustische Gitarren und elektrische Gitarren, die elektrischen sind verschieden gestimmt, die wiederum müssen ein Backup haben. Deshalb hab ich 18-20 Gitarren in jedem Rig, Rig bedeutet Verstärker mit Boxen und allem drum und dran. Der eine fliegt nach Griechenland, der andere nach Helsinki und der dritte ist in der Mongolei oder in Süd- oder Nordamerika. Da ich vernünftige Gitarren haben will, muss ich die haben. Da sind schon mal 60 Gitarren unterwegs. Der Rest (Anm. d. Redaktion: ca. schlappe 140 Gitarren) sind Gitarren, die einen sehr außergewöhnlichen Sound haben, und das sind die, die im Studio zum Einsatz kommen.
B: Spielst Du eigentlich die Schenker-Gitarre von Dean, die 2006 herauskam?
Ja, die spiele ich live. Das einzige Problem der Gitarre ist, dass sie sehr schwer ist. Deswegen kann man damit nicht allzu viel machen. Sie klingt sehr gut, kann man wirklich sagen. Ich hab eine hier Zuhause.
B: Ist sie zu schwer für deinen Rücken?
Sie schränkt meine Beweglichkeit ein. Du läufst hin und her mit diesem schweren Ding… Deswegen hab ich damals die Les Paul, die ich mit meinem Bruder Michael getauscht hatte, sofort weitergetauscht gegen eine andere Gitarre. Michael hatte eine Flying V von mir gekriegt und ich hatte seine Les Paul bekommen. Aber die Les Paul war wahnsinnig schwer. Das macht ja keinen Spaß mit so ´nem schweren Klotz auf dem Rücken…
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B: Wie weit ist das geplante Album der Schenker-Brüder?
Das Projekt mit meinem Bruder hätten wir schon lange gemacht, doch weil das neue Album so eine Qualität hat und Achtziger-Rock wieder extrem aktuell ist, passt so ein Side Project nicht rein. Außerdem, wenn das für Michael gemacht wird, wäre es kein Side Project, sondern ein richtig gehendes geiles Projekt, ein Vollprojekt.
B: Was machst du zum Ausgleich neben der Musik?
Ich meditiere jeden Tag. In der Phase ´72-´75 hab ich komponiert, geschrieben, meditiert. Ich hätte Zeit gebraucht, um geistig noch weiter zu kommen, aber dann kam der Erfolg der Scorpions dazwischen. Der hat an dem Gerüst von Yoga und Meditation gewackelt, ich habe dann meistens Musik gemacht und mich dem Weltlichen gewidmet.
B: Machst du auch Yoga?
Ich mach nicht konsequent jeden Tag Yoga. Ich mache auch mal zwei Tage kein Yoga, ansonsten mache ich die Grundübungen. Ich bin nie ins Extrem gegangen, sondern hab es in einer lockeren Form gemacht. Man macht immer Kompromisse. Ich bin niemand, der sagt: Ich gehe da nicht hin, weil ich mein Yoga zu dem Zeitpunkt machen muss.
B: In deinem Buch „Rock Your Life“ schreibst du, dass du in den erfolgreichen Phasen der Scorpions Rückenschmerzen bekamst.
Ich war über ein Jahr im Studio (für „Savage Amusement“ zwischen 1986 – ´87) und bin dann sofort auf die Bühne gesprungen. Das ist natürlich falsch, denn die Muskulatur wird beim Gitarrespielen einseitig belastet. Durch das Sitzen im Studio hatte sich die Muskulatur verkürzt. Aber es waren nicht allein die Rückenschmerzen, die mich zu Yoga und Meditation zurück gebracht haben, sondern eher die Tatsache, dass kein Erfolg wichtiger ist als der geistige Erfolg. Dadurch, dass ich den weltlichen Erfolg genießen konnte, habe ich das festgestellt. Deswegen habe ich das Buch „Rock Your Life“ geschrieben, um zu sagen: Jeder kann was aus sich machen. Wenn ich zurückblicke, war der geistige Erfolg für mich wichtiger, deswegen bin ich in die geistige Welt zurückgekehrt, weil ich gemerkt habe, wie einfach es ist, ein glückliches Leben zu führen. Nicht nur für den Rockstar, sondern für jeden Menschen.
Rock Your Life – Der Gründer und Gitarrist der Scorpions verrät sein Geheimnis: mit Spaß zu Glück und Erfolg (mvg-Verlag, 2009)
Rock Your Life – Der Gründer und Gitarrist der Scorpions verrät sein Geheimnis: mit Spaß zu Glück und Erfolg (mvg-Verlag, 2009)
B: Hast du deine Bandkollegen anregen können, Yoga und Meditation zu machen?
Hermann (Rarebell, früherer Schlagzeuger) konnte ich überzeugen. Als ich Uli John Roth kennen lernte, saßen wir in meinem Zimmer und spielten Gitarre. Ich hab mir ein paar Tricks von ihm abgeguckt. Er meinte: „Rudolf, du musst mehr Gitarre üben, acht Stunden am Tag.“ Ich antwortete: Erstens manage ich die Band und dann meditiere ich auch noch. „Ach, meditieren brauchst du doch nicht, die Zeit kannst du sparen.“, meinte Uli. „Nee, das ist das Wichtigste überhaupt!“, antwortete ich. Irgendwann hat er gemerkt, die Griffigkeit hängt nicht allein vom Besserwerden ab, sondern da muss noch etwas anderes sein – und dann hat er angefangen, zu meditieren – und das macht er heute noch.
B: Die Familie Schenker hat gleich zwei weltberühmte Gitarristen hervorgebracht. Wie kommt das?
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo meine Mutter wie eine Beamtin ganz auf Sicherheit setzte. Am besten wäre es, dass man sich wieder ins Grab legt, bevor man das Leben genießen kann – dann passiert einem nichts. Mein Vater war der, der sagte: „Mach´,  was dir Spaß macht, das Geld kommt von selbst.“ Er hat auch schon früher nach Wegen gesucht, die unabhängig von Geld sind. Dadurch hab ich die verschiedenen Seiten kennen gelernt. Mit der Meditation als Grundlage hab ich die auch bei mir vorhandene Angst verloren. Es läuft automatisch für einen, weil man diese Angst-Decke weggenommen hat.
B: In deinem Buch kritisierst besonders die geldgierigen Materialisten.
Wie heißt es so schön: Ändere dich, dann änderst du die Welt. Das Reden darüber, was der andere falsch macht, ist dummes Zeug. In dem Augenblick, in dem du dich veränderst und du deiner Umwelt was Gutes tust, veränderst du die Welt und dich. Das bedeutet wiederum, du siehst die Welt mit anderen Augen.
B: Negative Erlebnisse klammerst du in dem Buch weitgehend aus.
Früher hab ich z.B. auf unseren damaligen Produzenten Dieter Dierks geschimpft, der uns ausgenommen hat wie eine Weihnachtsgans. Warum soll ich so einen Mist in ein Buch bringen, was Leute motivieren soll, nach vorne zu gehen?
B: Hast du noch einen unerfüllten Traum?
Ich habe mir angewöhnt, den Moment zu leben. Und zwar möglichst intensiv. Nicht an gestern und morgen denken, sondern an den Augenblick. Das Jetzt ist das einzig Wahre. Alles andere ist Fiktion, Vergangenheit und Zukunft. Träume in dem Sinn: Mal auf den Mond fliegen und da ein Konzert geben. Das wäre ein Traum, der genau so unmöglich klingt wie damals mit den Scorpions zu den 30 erfolgreichsten Bands der Welt zu gehören.
B: Letzte Frage: Warum gibt es „Wind Of Change“ mit spanischem und russischem Text, aber nicht auf Deutsch?
Eine Übersetzung muss Sinn machen. Der Sinn der russischen Übersetzung war, den Russen etwas zurückzugeben. Eine deutsche Version aufzunehmen, das wäre ein Schlager geworden. Dann wäre es mit den Scorpions aus gewesen und wir hätten den Sprung zurück ins internationale Geschäft nicht mehr geschafft.
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