Beyerdynamic M 90 Pro X Test

Praxis

Keine Designspielereien

Das Beyerdynamic M 90 Pro X wirkt auf den ersten Blick pragmatisch geplant und ordentlich hergestellt. Pragmatisch meint hier: Statt auf Designspielereien, besondere Materialien und technische Raffinessen um Kundschaft zu buhlen, hat man sich bei der Entwicklung des Mikrofons, die hier in Deutschland stattgefunden hat, auf das Wesentliche konzentriert. Das Mikro ist also mechanisch schlicht, funktional und unauffällig. Im Inneren des Mikrofons ist eine umfangreich bestückte SMD-Platine am Werk. Ein Servicefall bei einem Kondensatormikrofon kommt üblicherweise erst sehr spät vor, dieser wird durch die Technik nicht unbedingt vereinfacht. Ob die mechanischen Belastungen bei sehr häufigem und ruppigem Stecken und Lösen des Kabels Probleme bereitet, weil der Stecker direkt auf die Platine gelötet ist, ist nur schwer vorauszusagen. Die technisch beste und langlebigste Lösung ist das jedenfalls nicht.

Fotostrecke: 3 Bilder M 90 mit Poppschutz und Spinne

Wo geht’s lang?

Eigentlich ist bei Mikrofonen immer sofort klar, wo “hineingesprochen” wird: dort, wo sich das Markenemblem und oft das Patternsymbol befindet. Manchmal ist nicht ganz deutlich, ob das Mikrofon “top fire” oder “side fire” ist. Anfänger, die ja durchaus als Käufer des M 90 in Betracht kommen, könnten bei den beiden unterschiedlich zu besprechenden Pro-X-Mikrofonen verwirrt sein. Beim Beyerdynamic M 90 Pro X ist zudem nicht sofort jedem klar, wo eigentlich “vorne” ist. Dort, wo das Beyerdynamic-Emblem zu sehen ist oder dort, wo der Produktname aufgedruckt ist? Dass die unausgesprochene Konvention nicht eingehalten wird, kann bei Einsteigern durchaus zu Verwirrung führen. Und weil die erste Amtshandlung bei einem Produkttest das Fotografieren des dann noch maximal frisch aussehenden Testobjekts ist, ist zum Beispiel das Aufmacherbild eigentlich verkehrt…

Ganz andere Sprache als das 840

Wer glaubt, dass das M 90 Pro X eine ähnliche Sprache sprechen würde wie das MC 840, der ist auf dem falschen Dampfer: Während das MC 840 sehr neutral und unbeeindruckt wandelt, ist das M 90 ein Mikrofon, das eindeutig die klangliche Marschrichtung vorgibt. Es dickt Signale leicht an, aber ohne in den Tiefen zu vermatschen. Zudem wird das Signal präsent und durchsetzungsfähig, ohne allerdings in den Höhen allzu viel Pegel zu generieren oder zu spitz zu werden. Gesangsstimmen klingen damit voll und spielen ich zwischen anderen Signalen schnell in den Vordergrund. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass es nicht das erklärte Ziel bei Beyerdynamic gewesen sein kann, ein Mikrofon mit dem höchstmöglichen Auflösungsvermögen, feinster Detaildarstellung und sehr “kurzer” dargestellten Impulsen zu generieren. Für viele Signaltypen, darunter die Stimme, wird das oft als gar nicht so wichtig empfunden, bei akustischen Gitarren, Streich- und Holzblasinstrumenten schon. Im Vergleich war nur das deutlich preiswertere Blue Ember diesbezüglich schwächer aufgestellt – allerdings klingt dieses auch “grauer” und ein wenig “blutleerer” und gleichzeitig kratziger. Das t.bone SC 1200 wirkte im Vergleich durchaus agiler, besitzt aber nicht dieses schöne Fundament. Das deutlich teurere Mojave Audio MA-201FET wirkte edler und gleichzeitig luftiger als das M 90 Pro X. Vergleiche mit dem Neumann TLM 103 und dem Aston Spirit sowie der Einsatz am Piano sind in unserem unten verlinkten Video zu hören.

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Beyerdynamic M 90 Pro X, 10 cm Beyerdynamic M 90 Pro X, 30 cm Beyerdynamic M 90 Pro X, 70 cm Blue Ember, 10 cm Blue Ember, 30 cm Mojave Audio MA-201FET, 10 cm Mojave Audio MA-201FET, 30 cm the t.bone SC 1200, 10 cm the t.bone SC 1200, 30 cm

Auch nah gut

Im Nahbereich wird as Mikrofon naturgemäß bassiger, allerdings nicht zu extrem und ohne dass die darüber liegenden Frequenzbänder dadurch leiden würden. Auch gerät das Signal dann nicht ins Schwimmen. Die starken Popplaute des Gesangs von Sänger Chul-Min sind bei zehn Zentimetern Abstand bei fast allen Mikrofonen mit einem Poppschutz wie dem des Beyerdynamic noch so kräftig, dass sie stellenweise einen deutlichen Punch in den Bässen verursachen. Dass bei gleichem Poppfilter das Beyer dennoch die größte Empfindlichkeit besitzt, zeigt, dass man hier ein wenig stärker darauf achten sollte, ob übertrieben starke Popps generiert werden. Anders als hier für die Soundbeispiele würde man ein wenig aus der Frontalachse oder eine höhere Mikrofondisziplin an den Tag legen, was die Gefahr sofort bannt. Die Spinne tut einen guten Dienst.

Hervorragender, moderner Sprecherklang

Wirklich ganz toll ist der Sprechersound mit dem M 90 Pro X. Wer auf crispen, aber gleichzeitig voluminösen Stimmenklang steht, wird seine helle Freude am M 90 Pro X haben. Die Stimme klebt sich besonders bei geringen Abständen dem Hörer mitten ins Gesicht, sodass auch ohne Kompression ein deutlicher, aber eben nicht übertriebener oder karikiert wirkender Broadcastsound entsteht.

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Sprache

Instrumenteneignung

Für viele Instrumente sind das ebenfalls oftmals positive Eigenschaften, doch wird es möglicherweise im Mix auffallen, dass eben nicht alles immer “vorne”, “laut” und “präsent” sein kann. Als einzigen Allrounder kann man das 90er dennoch ganz gut verwenden, da das Signal EQ-Einsätze gut verträgt, solange sie nicht mit übertrieben starken Hüben ans Werk gehen.

Keine zu frühern Einbrüche

Die Stabilität des Nierenpatterns ist gut, was ebenfalls im Amateurbereich nicht unerheblich ist. Wer nicht strikt Abstand und Winkel einhält, wird nicht sofort mit enormen Klangunterschieden abstraft. Mir standen zum Test aufgrund einer, sagen wir “logistisch-organisatorischen Besonderheit” zwei M 90 Pro X zur Verfügung. Erstaunlich war, wie gleich sich die beiden waren: Das spricht für eine gute Bauteilselektion und ordentliche Qualitätssicherung.

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Beyerdynamic M 90 Pro X vs. M 70 Pro X

“Lohnt es sich, 50 Euro mehr für das Beyerdynamic M 90 Pro X statt für das M 70 Pro X auszugeben?” – Diese Frage wird sicher häufig auftauchen. Nun könnte man argumentieren, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. In jedem Fall sind Tauchspulenmikrofone wie das M 70 eher bei Sprachanwendungen und lauten Signalen und Elektrostatenmikrofone wie das M 90 eher bei Vocalaufnahmen und feinerem Material beliebt. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. In jedem Fall ist das M 90 als Elektrostat “feingeistiger”, aber eben nicht so robust und für sehr laute Quellen geeignet. Dass aber eine starke Detailliertheit und sehr feine Höhen gerade bei Sprache (aber auch bei Gesang) nicht unbedingt notwendig sind, beweisen zahlreiche dynamische Sprechermikrofonklassiker und die Tatsache, dass so mancher Hit mit einem dynamischen Mikrofon aufgenommen wurde. Und: Die beiden neuen Beyerdynamic-Mikrofone sind sich nicht nur optisch, sondern auch klanglich nicht unähnlich!

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