Universal Audio TwinFinity 710 Test

PRAXIS

Erstaunlich leicht ist der TwinFinity! Mit weniger als 2,5 kg lässt sich das kleine Gehäuse von der Erde anziehen. Und dass das Gehäuseformat verdammt praktisch ist, schreibe ich an dieser Stelle nicht zum ersten Mal. Im Betrieb wurde mir schnell deutlich, dass die Frontplatte nicht nur nach ästhetischen Gesichtspunkten erstellt wurde – das übrigens sehr erfolgreich –, sondern auch nach ergonomischen – genauso erfolgreich. Allerdings wird es bei Schummerlicht etwas problematisch, Stellungen der kleinen Switches und insbesondere deren Beschriftung zu erkennen. Ich habe öfters mal die Augen zusammenkneifen müssen wie Bud Spencer. Nach kurzer Eingewöhnungsphase kennt man seine Geräte jedoch, also ist das kein Beinbruch. Doch ich blinzle nicht nur manchmal wie der italienische Haudrauf, sondern habe auch so ungefähr seine Hände, die bestimmt nicht die eines Pudelfrisörs sind – da sind die winzigen Switches doch manchmal etwas zu “lütt”. Beim Universal Audio ist also eine gewisse Diskrepanz in der Dimensionierung von Reglern zu Schaltern zu bemerken. Doch selbst mein geliebter Tube-Tech besitzt einerseits richtig fette Gain-Rasterschalter à la sowjetisches Kontrollzentrum und andererseits mikroskopisch kleine Schalterchen. Ich frage mich bei jeder Benutzung erneut, warum.

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Zum “Transen”-Modus geblendet, also ganz ohne Röhrensound, klingt der TwinFinity nicht so, wie man es von seinem Design erwarten würde: Kilometerweit vom üblichen “Vintage”-Verständnis entfernt, verstärkt er Signale sehr klar und deutlich. Dabei ist zwar sehr ausgewogen und neutral, aber im Gegensatz zu anderen hochwertigen Solid-State-Amps – im Test Lavry AD11 und DPA HMA5000/HTP4000 – etwas blasser und nicht so spritzig und agil. Ein wenig mehr Sparkle und das letzte Quentchen Geschwindigkeit würde ich mir für manche Signale schon wünschen, doch insgesamt hat man es hier mit einem äußerst cleanen und zurückhaltenden Mic Pre zu tun. Dass sich dieses ändert, wenn der Blend-Regler in Richtung Röhre bewegt wird, ist nachvollziehbar. Allerdings krempelt sich nicht in jedem Fall der Charakter des Geräts auf links, denn schon auf den ersten Blick hörbar ist das nur bei höhrern Gains. Schliesslich nehmen die Verzerrungsprodukte bei Tube-Amps meist sehr sachte, aber kontinuierlich mit dem Pegel zu. Die Solid-State-Schaltung bleibt über einen langen Weg des Gain-Potis fast unverändert, die Röhre kann man hingegen wie gewünscht in die Sättigung fahren. Es setzt bei immer sehr moderatem Rauschen zunehmend die typische Farbe ein, die besonders bei hochpegligeren Bestandteilen des Signals auffällt, zudem eine leichte Einengung der Dynamik. Anders als bei sonstigen “dreckigen” Röhrenamps kann man hier allerdings schön mit dem cleanen Pfad mischen. Ich sehe daher den TwinFinity eben nicht als Alleskönner, sondern eher als Spezialisten: Ich habe einmal in einer Session schon im Recording eine starke Röhrensättigung haben wollen, die dem cleanen und transientenreichen Signal leicht zugemischt ist – und dafür schlicht und einfach zwei Mikros aufgebaut, bei denen eines in einen ultraheiß gefahrenen Röhren- und das andere in einen kreuzbraven Solid-State-Amp gesteckt wurden. Dass sich beim TwinFinity quasi diese Möglichkeit in einer Kiste befindet, eröffnet durchaus neue Perspektiven.

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UA 710 Transistor UA 710 Transistor Low-Cut UA 710 Tube Tube-Tech MP1A Lavry AD11 UA 710 Tube mit RE20 Tube-Tech MP1A mit RE20

Ich habe es mir nicht nehmen lassen, es mit dem 710 auch mal so richtig fies krachen zu lassen und beim Gain ordentlich Kohlen in den Ofen geschoben. Doch noch bevor die Verzerrung überhand nimmt, beginnt der Klang, nervös zu werden, fast schon kratzig und beißend. Aber keine Angst: “Tin-Finity” (“Blechdosensound”) ist das deswegen auch nicht gleich. Nur etwas seidiger hätte ich mir das Signal schon gewünscht, doch gibt es glücklicherweise ja den besagten Regler in der Mitte der Frontplatte. Außerdem lässt sich bei Bedarf in Drive-Stellung mit dem Meter der Anteil der Verzerrungsprodukte schlicht und einfach ablesen. Ich persönlich verlasse mich dennoch lieber auf meiner Hörorgane. Diese zeichnen insgesamt ein Bild der Röhrenschaltung, das zufrieden macht, aber auch nicht übermäßig begeistert. Ich würde – um den typischen UA-Röhren-Mic-Pre-Sound zu erhalten, immer noch zum 610er greifen wollen – für einen sehr attraktiven Preis ist da ja dann gleich ein T4-Kompressor mit an Bord. Wenn man “amerikanischen” Röhrensound hinbekommen möchte, ist das einfach ein phantastisches Werkzeug. Aus den Audiobeispielen hier wird auch deutlich, dass der zum Vergleich herangezogene Tube-Tech MP 1A deutlich eleganter, feingeistiger und freundlicher klingt – dafür aber eben nicht so “fat bastard”-mäßig.

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710 Hot

Der Universal Audio TwinFinity 710 ist zweifelsohne ein hervorragendes Gerät, welches auch ohne Solid-State-Signalpfad für diesen Preis ein vernünftiger Mikrofonvorverstärker wäre. Sicher ist auch die Möglichkeit des Blendings angenehm, doch könnte man theoretisch mit einem Mikrofonsplitter (teuer!) und zwei Preamps genau das gleiche hinbekommen – wenn es denn wirklich notwendig erscheint. Dass so etwas selten benutzt wird, kann nun einerseits bedeuten, dass es nicht so dringend notwendig wäre (das entspricht dann auch meiner Sichtweise), oder dass es vielen Usern bislang zu kompliziert wäre. Ich würde weiterhin dazu raten, einen vernünftigen Solid-State- und einen Röhrenpreamp auszusuchen, oder – bei kleinen Setups, “jungen” Studios oder Recordingplätzen – erst einmal ein zweites Mikrofon mit vom ersten deutlich abweichenden Charakter anzuschaffen. Mit der 610-Serie gibt es bei Universal Audio Röhrenmikrofonvorverstärker, die ich dem 710 definitiv vorziehen würde (Der 610 Solo kostet nur 200 Euro mehr!), auch wenn dieser nicht die Möglichkeiten des 710 bietet. Wer jedoch die besondere Funktionalität des TwinFinity nutzen möchte, erhält mit dem kleinen Gerät seine Traumkiste – obendrein zum moderaten Preis.

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