Steinberg Cubase 6 Test

PRAXIS

Der erste Eindruck – Optik und augenscheinliche Veränderungen
Nach dem ersten Start von Cubase 6 legt sich die grafische Benutzeroberfläche in angenehm entsättigten und seidig wirkenden Farbtönen auf das LCD. Nachdem die Optik des Sequencers mit den letzten Updates immer futuristischer wurde, ist das bislang vorherrschende Blau deutlich grauer geworden, und fast bekommt man den Eindruck, Cubase in einem edlen Old-Movie-Modus vor sich zu sehen. Die Farbgebung der Events im Projektfenster fällt dagegen deutlich leuchtender und damit kontrastreicher aus als bisher. Insgesamt sieht wieder einmal alles sehr hübsch aus, und ich frage mich, wie Steinberg es immer wieder schafft, alleine durch die farbliche Gestaltung den Wunsch in mir zu wecken, unbedingt mit der neuen Version weiterarbeiten zu wollen.

Der neue Cubase-Look
Der neue Cubase-Look

Eine gute Nachricht ist, dass Benutzer von Cubase 5 nicht lange brauchen werden, um mit der neuen Version warm zu werden. Die meisten essenziellen Bedienelemente finden sich nach wie vor an ihrem angestammten Platz. Die ersten drei kleinen Änderungen, die mir persönlich aufgefallen, sind: Spuren lassen sich nicht mehr standardmäßig über die Delete-Taste auf der Tastatur löschen (um ein versehentliches Löschen zu vermeiden), die globalen Quantisierungsfunktionen sind aus dem Menüpunkt „MIDI“ in den Bereich „Bearbeiten“ gewandert und die Farbgebung ganzer Spuren wird fortan über den Inspector des Projektfensters geregelt. Es dürfte kein Problem darstellen, seine bisherige Arbeitsweise an derlei Kleinigkeiten anzupassen.
Import aus alten Versionen und mögliche Fallstricke
Projekte aus Cubase 5 lassen sich im Prinzip problemlos in Cubase 6 öffnen, und das gehört für ein solches Update natürlich zum Pflichtprogramm. Zwei Dinge gibt es allerdings zu beachten. Der mit der letzten Version eingeführte HALion ONE wurde durch HALion Sonic SE ersetzt. Wie sich erahnen lässt, ist das neue Plug-In ein kleines Geschwisterchen des HALion Sonic, dem wir bereits einen ausführlichen bonedo-Test gewidmet haben, in dem ihr alle Details erfahrt.
Kurz gesagt: Die Funktionalität des sehr rudimentär gehaltenen Allround-Sampleplayers HALion ONE erfährt dadurch eine erhebliche Erweiterung (16-fach multitimbral, integrierte Effekte, komplexes MIDI-Mapping). Für den Moment ist aber vor allem eines wichtig: Die alten Sounds sind komplett vorhanden, und es kommt sogar noch einiges dazu. Dass Cubase so schlau sein könnte, beim Projektimport die Einstellungen des Vorgängers auf den Nachfolger umzumünzen, muss man aber wohl ganz aufrichtig nicht erwarten. Um Abwärtskompatibilität zu gewährleisten, hat Steinberg also eine Version des HALion ONE mit ins Paket gepackt. Wenn diese (oder parallel Cubase 5) installiert ist, funktioniert der Import entsprechender Projekte ohne Probleme. Die alten Presets werden allerdings ausschließlich beim Öffnen eines Songs geladen. Im Browser von HALion ONE werden sie nicht mehr angezeigt. Zum Laden neuer Sounds muss also der HALion Sonic SE verwendet werden.

Fotostrecke: 2 Bilder HALion Sonic SE …

Der zweite Punkt zum Thema Abwärtskompatibilität ist, dass der in Cubase bisher enthaltene SPL DeEsser ab sofort durch einen neuen Vertreter seiner Gattung ersetzt wird, der dem VST 3 Standard entspricht. Es wird also keine unnötige Rechenlast erzeugt, wenn kein Signal anliegt und der DeEsser ohnehin nicht aktiv arbeitet. Das ausgemusterte Plug-In fehlt in Cubase 6, und nur wer Version 4 oder 5 noch auf der Festplatte hat, kann darauf zugreifen. Andernfalls müssen alle DeEsser in einem Song neu eingestellt werden.
TIPP: Ein Workaround zu diesem Problem wäre, das entsprechende dll-File aus dem alten VSTPlugins-Ordner zu sichern und es bei zukünftigen Installationen von Hand in den neuen Ordner zu kopieren. Dabei wäre natürlich darauf zu achten, die neue DeEsser.dll nicht durch die alte zu ersetzen sondern ein eigenes Unterverzeichnis für das gesicherte File anzulegen.

DEesser: Neu & Alt
DEesser: Neu & Alt

Automatische Tempoerkennung
Ein erstes neues Feature in Cubase 6 ist die automatische Tempoerkennung. Dieser Begriff mag anfangs etwas irreführend wirken. Es geht hier nicht einfach nur darum, die BPM-Zahl eines fertigen Tracks zu erkennen, sondern einen im Tempo schwankenden Track im wahrsten Sinne des Wortes den Takt angeben zu lassen. So kann beispielsweise eine Schlagzeugaufnahme, die ohne Metronom eingespielt wurde, als Grundlage für ein Projekt dienen, das sich an die Timingschwankungen des zugrunde liegenden Audio-Files anpasst – inklusive Klick und Notenraster im MIDI-Editor. Dies ging bisher zwar schon mit der Time-Warp Funktion, aber eben nicht automatisch.
Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Erzeugen einer korrekten Tempospur ist, dass der entsprechende Track einen perkussiven Charakter hat, der zudem rhythmisch klar strukturiert ist. Das bedeutet: Die Cubase Tempoerkennung hört lieber einen Groove von Ringo Starr als ein Adagio von Mozart. Abgesehen davon sollten die Abweichungen innerhalb eines bestimmten Bereiches bleiben. Wenn unser nicht ganz so timingfester Drummer um 20 Beats schneller wird, würde sich ohnehin die Frage stellen, ob man nicht doch eine neue Aufnahme macht. Wie das genau funktioniert, und dass dies in manchen Fällen noch nicht ganz rund läuft, seht ihr im folgenden Videoclip.

Aus reiner Neugierde habe ich die Tempoerkennung mit einem Stück der Band Dream Theater gefüttert, die sozusagen das Rock-Synonym für unregelmäßige Taktarten und rhythmische Modulationen ist. Um es mit den Worten von Marcel Reich-Ranicki zu sagen: Es war grässlich! Der Cubase-Klick war überall, nur nicht auf der wirklichen „Eins“. Innerhalb einer festen Taktart und bei einem einigermaßen klaren Beat kann diese Funktion aber durchaus nützlich sein und dem Benutzer das Setzen von Time-Warp Ankerpunkten von Hand zumindest teilweise ersparen.

Edit Goups und Schlagzeug-Quantisierung

Cubase kann aber auch anders herum – also nicht das Songtempo an einen Drummer anpassen, sondern einen Drummer an das Songtempo anpassen. Was im Proberaum hin und wieder als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen mag, gehört für eine Audio-Software zum Standard-Programm – Audio-Quantisierungsfunktionen gibt es in den angesagten DAWs schon seit langem. Gerade bei Schlagzeugaufnahmen mit typischerweise mehreren Spuren für die verschiedenen Instrumente war das Schneiden, Verschieben, Kleben und Überblenden bisher aber nicht selten ein Grund für spätnächtliches Wehklagen und Haareraufen. Der Klang einer Snaredrum kommt nun einmal früher am Direkt-Mikrofon an als an den weiter entfernten Overheads, und gerade solche Laufzeitunterschiede sollen eben nicht glatt gebügelt werden. Diese Problematik hat Cubase 6 inzwischen voll und ganz im Griff. Mit ein wenig Vorarbeit lässt sich eine echte Multitrack-Aufnahme jetzt fast so einfach quantisieren wie eine MIDI-Spur.

Die Spuren einer Schlagzeugaufnahme in einer Edit-Group
Die Spuren einer Schlagzeugaufnahme in einer Edit-Group

Zunächst einmal gibt es eine neue Bearbeitungsfunktion, die es erlaubt, Einzelspuren in einem Ordner zu gruppieren und gemeinsam in einer so genannten Edit-Group zu bearbeiten. Dies bietet sich besonders für einzelne Schnitte „von Hand“ an. Die Schlagzeugaufnahme ist perfekt, aber der Backbeat in Takt 14 kommt einen Tick zu spät und soll an seinen richtigen Platz…? Nichts leichter als das! Sobald der Gruppen-Modus aktiv ist, wirken sich alle Bearbeitungen auf den gesamten Ordner aus. Natürlich geht das nicht nur mit Drumtracks, sondern auch mit jeder anderen Art von mehrfach mikrofonierten Instrumenten. Der Sinn dieser Neuerung ist schlicht und einfach das Sparen von Mausklicks – und das funktioniert.

Hitpoint-Bearbeitung im Sample-Editor
Hitpoint-Bearbeitung im Sample-Editor

Etwas spektakulärer wird es bei der automatischen Quantisierung solcher Multitrack-Aufnahmen. Dazu werden zunächst einmal Hitpoints berechnet, die Cubase verstehen lassen, an welchen Stellen in den Audio-Files die einzelnen Schläge auf Trommeln und Becken liegen. Dieser Hitpoint-Erkennung wurde ein neuer Algorithmus zugrunde gelegt, der sich wirklich vorbildlich und weitaus musikalischer als bisher verhält. Hier scheint Version 6 einen der Versionsnummer entsprechenden sechsten Sinn entwickelt zu haben. Es ist ausreichend, diese Hitpoints nur auf den tragenden Spuren der Aufnahme erkennen zu lassen – beispielsweise also Bassdrum, Snaredrum und Hi-Hats. Der Clou an alledem ist: Sobald dies geschehen ist, fügt Cubase diese Informationen auf Knopfdruck für die Gruppe aller Spuren zusammen, zerschneidet sie an den errechneten Punkten, quantisiert sie perfekt oder näherungsweise an einem frei bestimmbaren Gitter und kümmert sich um die dazugehörigen Crossfades. Was im folgenden Video nicht zu sehen ist: Aus den Informationen der Hitpoints lässt sich sogar eine MIDI-Spur erzeugen, was jede Art von Drum-Replacer für Cubase-User in Zukunft überflüssig macht. Hervorragend!

Plug and Play für Gitarristen – Das VST Amp Rack
Mit dem Schritt zu Version 6 wird das Thema Amp-Simulation für Cubase von der vormals reinen Pflichtübung zur durchaus professionell ausgeführten Kür. Der alte Amp-Simulator bot zwar bereits die Möglichkeit, eine direkt an das Audio-Interface angeschlossene Gitarre mit einem Klangcharakter anzureichern, der einem echten Gitarrenverstärker in gewisser Weise ähnelte, wirklich überzeugend machte er das bisher aber nicht. Mit dem VST Amp Rack, einem eigenständigen Effekt-Plug-In, ändert sich nun auch dies.

Fotostrecke: 2 Bilder Die Amps und Cabinets des VST Amp Rack

Mit sieben Verstärkertypen deckt das Plug-In die standardmäßigen Klangbedürfnisse für Rock- und Pop-Produktion ab. Ganz wie es von Seite der Gitarristen zu erwarten ist, finden sich die digitalen Konterfeis der üblichen Verdächtigen wie Marshall Plexi, Vox AC30, Fender Twin oder dem Metal-Boliden Mesa Boogie Recitfier im Sortiment. Die dazugehörigen Lautsprecher sind natürlich ebenfalls mit an Bord, können frei mit den Amps kombiniert werden und basieren auf der zeitgemäßen Faltungs-Technologie. Mit dem Fender Bassman ist auch ein Verstärker im Programm, der ursprünglich für Bassisten entwickelt, letztendlich aber zu großen Teilen ebenfalls von Gitarristen verwendet wurde. Ein ausgewiesener Bassverstärker würde die Auswahl sicherlich noch abrunden.

Positionierung der Mikrofone
Positionierung der Mikrofone

Sehr schön ist die Möglichkeit, zwischen sieben verschiedenen Mikrofonpositionen wählen zu können und zudem zwischen einem mittenbetonten dynamischen Mikrofon und einem offeneren Kondensator-Mikrofon hin und her faden zu können. Auch hier kommt das im Vergleich zu algorithmischer Klangberechnung wesentlich realistischere Faltungs-Verfahren zum Einsatz, bei dem sozusagen das akustische Verhalten eines echten Lautsprechers, Mikrofons oder auch Raums (Faltungshall) abgesampelt wird. Steinberg macht in der Dokumentation keine konkreten Angaben zu den beiden verwendeten Mikros, die grafischen Darstellungen im Plug-In-Fenster lassen aber vermuten, dass es sich um ein dynamisches Shure SM-57 und ein Neumann U-87 (Großmembran Kondensator) handelt. Zwei Klassiker also, die sich in ihrer Rolle vor der Kalotte bewährt haben, und die sich sowohl im Klang als auch im realen Anschaffungspreis deutlich unterscheiden.

Eine kleine Auswahl an Bodentretern
Eine kleine Auswahl an Bodentretern

Eine Auswahl an Stompbox-Effekten darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Das VST Amp Rack bietet insgesamt 16 verschiedene Bodentreter, die je nach Bedarf vor oder hinter dem Verstärker in den Signalfluss geschaltet werden können. Hier finden sich Verzerrer wie Fuzz und Overdrive, Modulationseffekte wie Chorus und Flanger und sogar ein rudimentärer interner Faltungshall, der immerhin vier Räume anbietet. Ein Federhall und ein Rotary-Effekt stünden dem Plug-In sicher ebenfalls gut zu Gesicht.
Die allgemeine Klangqualität des VST Amp Rack macht auf mich persönlich einen runden und sehr aufgeräumten Eindruck. Überraschend gut finde ich, wie sich das Plug-In gerade bei Crunch-Sounds schlägt, welche in der Regel eine echte Herausforderung für solche Amp-Simulationen darstellen. Auch wenn ein Spezialist wie das NI Guitar Rig 4 in Sachen Direktheit von den Cubase-Amps nicht übertroffen wird, erfährt Cubase eine deutliche Aufwertung durch dieses Plug-In.
Im folgenden Video benutze ich das VST Amp Rack, um unserem Mini-Arrangement eine Gitarre hinzuzufügen. Am Hi-Z Eingang des Audio-Interfaces hing eine ´83er Fender Squier aus der SQ Serie (Halspickup). Ich danke Authentic Guitar für das schöne File.

Audio Samples
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Crunchy Fender Bassman Funky Vox AC30 HiGain Rectifier Clean Picking Fender Twin Solo Marshall Plexi Lead

Etwas mehr Ohrenfutter für Gitarristen gibt es jetzt mit einigen zusätzlichen Audiofiles. Zu der Aufnahme aus dem Video gesellt sich eine Funky Gitarre, die durch den Vox AC30 fließt, ein kleines Metal-Gewitter aus dem Rectifier, ein Balladen-Picking aus dem Fender Twin und ein Solo, das mit der Lead-Variante des Marshall Plexi erzeugt wurde.

The Perfect Take – Die Comping-Funktion
Wenn eine neue Funktion so erfrischend einfach und effektiv ist, wie die Comping-Funktion in Apple Logic, dann darf man es einer Software wie Cubase meiner Meinung nach auch nicht übel nehmen, wenn sie hin und wieder ein wenig bei der Konkurrenz abguckt. Genau das hat Steinberg mit diesem neuen Feature nämlich getan.

StbrgC6_13Comping

Eine Audio-, MIDI- oder Instrumentenspur beinhaltet Unterspuren, die automatisch für jeden Take erzeugt werden. Diese Unterspuren weisen Merkmale der bereits angesprochenen Edit-Groups auf und lassen sich beispielsweise in einer Gruppen-Bearbeitung schneiden. Im Falle einer Gesangsaufnahme kann man so beispielsweise jede Phrase in ein eigenes Audio-Event packen und dann ganz komfortabel per Mausklick die schönste Variante aus den Takes herauspicken. Im Vergleich zur früher etwas umständlicheren Arbeitsweise, bei der die überwiegenden Teile der nicht verwendeten Takes gemutet werden mussten, spart Cubase 6 an einer weiteren Stelle eine ganze Menge Mausklicks.
Im Video seht ihr, wie ich eine Gesangsspur aus drei verschiedenen Takes zusammen zimmere. Entsprechend der Tatsache, dass dies nun wirklich sehr schnell geht, ist der Clip relativ kurz. Der Gesang wurde freundlicherweise von Senta Studer – unter anderem Sängerin der Band Q.Age – für diesen Test eingesungen.

Loopwürfeln mit Effektgarnitur – LoopMash 2
Auch Steinberg´s Audio-Shredder LoopMash erfährt im Update auf Cubase 6 eine kleine Aufwertung und erhält die Versionsnummer 2. Zu den grundlegenden Funktionen, also dem Häckseln und Neukombinieren verschiedener Loops, kommen vor allem 21 Performance-Controls, also Effekte, die auf die gesamte Performance von LoopMash 2 angewendet werden können. Als Vorbild für diese Effekte dienen all die Kunststücke, die ein DJ mit seinen Turntables anfangen kann. So lassen sich nun für das Scratching typische Stutter-, Stop- und Reverse-Effekte per Tastenddruck auf dem Master-Keyboard erzeugen oder auch einzelnen Slices der geladenen Loops zuweisen.

StbrgC6_14LoopMash

Weiterhin wurde die Anzahl der Scenes zum Abspeichern verschiedener Loop-Konfigurationen auf 24 verdoppelt und eine Drag&Drop-Funktion zum Importieren einzelner Slices in den GrooveAgent ONE hinzugefügt. Fans dieses exotischen Instruments werden sich über die Neuerungen sicher freuen. Im Video machen wir einen kleinen Ausflug und begeben uns von dem bisherigen Arrangement weg, um uns die Performance Controls anzusehen.

Note Expression – Eine kleine MIDI-Revolution, Teil 2
Zu guter Letzt nehmen wir uns eine Neuerung in Cubase 6 vor, die vor allem für Benutzer, die intensiv mit MIDI-Recording und Programmierung arbeiten, interessant sein dürfte. Komplexe Sample-Bibliotheken wie zum Beispiel Orchester-Libraries bieten in der Regel für jedes einzelne Instrument eine Auswahl an verschiedenen Spielweisen (z.B. Tremolo, Legato oder Pizzicato). Diese werden je nach Library entweder über Keyswitches oder verschiedene MIDI-Kanäle angesteuert. Gerade in letzterem Fall kann ein umfangreiches Orchester-Arrangement im Rechner schnell unübersichtlich werden, da nicht nur für jedes einzelne Instrument, sondern für jede einzelne Artikulation eine eigene MIDI-Spur angelegt werden muss. Dieser Problematik hat Steinberg sich mit VST Expression bereits in Cubase 5 angenommen. Über die damals neu eingeführten Expression-Maps ist es möglich geworden, Spielweisen direkt im Key-Editor einzuzeichnen und entsprechende Anweisungen wie ein Ändern des MIDI-Channels aus einer einzelnen Spur heraus zu realisieren.

Mit dem Update auf Cubase 6 lässt Steinberg seine MIDI-Revolutionstruppen nun ein weiteres Mal die Flinten stopfen. VST Expression 2 bietet die sehr benutzerfreundliche Möglichkeit, Expression-Maps direkt aus einem (VST 3.5 kompatiblen!) Plug-In heraus abzurufen. Als Anwender muss man sich also künftig keine Gedanken mehr um die interne Struktur einer Library machen, sondern kann die Spielweisen per Knopfdruck in die MIDI-Spur importieren und sodann per Mausklick im Editor auswählen. Revolutionär ist das noch nicht, aber es geht natürlich noch weiter.

Abgesehen von der Auswahl verschiedener Spielweisen bieten komplexe Libraries in der Regel zusätzliche Parameter an, mit denen Realismus und Musikalität einer MIDI-Performance erhöht werden können. Bleiben wir beim konkreten Beispiel der Orchester-Library: Hier lassen sich beispielsweise Lautstärkeverläufe oder der Anteil des Vibratos in einer Streicherlinie über MIDI-CCs wie das Modulationsrad oder ein Expression-Pedal steuern. All diese MIDI-CCs unterliegen jedoch der Einschränkung, dass sie unabhängig von den Noten in einer angehängten Unterspur aufgezeichnet werden und pro MIDI-Kanal nur einen Wert zu einem Zeitpunkt an das virtuelle Instrument senden können.

Eine MIDI-Spur mit MIDI-Controllerdaten
Eine MIDI-Spur mit MIDI-Controllerdaten

Mit Note Expression wird das nun anders. Steinberg hat den bisher üblichen MIDI-CCs einen eigenen Satz neuer Datenkanäle hinzugefügt, die als VST3-Controller bezeichnet werden und den obigen Einschränkungen nicht mehr unterliegen. Ganz konkret bedeutet das: Controller-Daten werden in Zukunft nicht mehr in Unterspuren gespeichert (natürlich geht auch das noch), sondern mit den MIDI-Noten selbst verknüpft. Ein Vorteil ist, dass die Daten beim Verschieben einer Note nicht von Hand in der Controller-Spur mit verschoben werden müssen. Der viel größere und wirklich ein wenig revolutionäre Vorteil ist aber, dass ein VST3-Controller mehrere Werte auf einmal senden kann. So kann im Falle unserer Orchester-Library also eine hohe Violinenstimme mit sanftem Vibrato liegen bleiben, während eine Zweitstimme ausdrucksstarke Crescendi oder Läufe in wechselnden Spielweisen vollführt. Und all das geht mit wenigen Klicks aus einer einzelnen MIDI-Spur heraus. Fans von Filmkomponisten wie Hans Zimmer werden ihre helle Freude an diesem neuen Ansatz haben. Ich wage sogar zu unterstellen, dass Hans Zimmer selbst seine helle Freude daran haben könnte.

Eine MIDI-Note mit VST3-Controllerdaten
Eine MIDI-Note mit VST3-Controllerdaten

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die entsprechenden Software-Instrumente dem neuen VST 3.5 Standard entsprechen. Da dieser mit Cubase 6 ganz frisch eingeführt wurde, ist HALion Sonic (auch SE) bisher leider das einzige Plug-In, das diese Schnittstelle unterstützt. Es wäre also sehr zu begrüßen, wenn Drittanbieter im Laufe der Zeit den sicher nicht ganz einfachen Schritt machen würden, ihre Software auf VST 3.5 aufzurüsten. Wenn es um eine Kaufentscheidung geht, wäre für mich persönlich eine komfortable und übersichtliche Bedienbarkeit neben dem Sound und der klanglichen Flexibilität einer der wichtigsten Punkte.

Im Video könnt ihr euch selbst von der Funktionalität von Note Expression überzeugen, und leider auch davon, dass die Arbeit mit diesem neuen Feature nicht immer ganz so intuitiv läuft, wie man es sich wünschen würde.
Cubase 6 und Cubase Artist 6
Wie bisher gibt es neben der Vollversion von Cubase auch eine Variante, die in einigen Bereichen limitiert ist. Die reduzierte Produktlinie wurde von Cubase Studio in Cubase Artist umbenannt. An der grundlegenden Philosophie ändert sich dadurch nach meinem Ermessen aber nicht viel. Trotzdem bezeichnet Steinberg die neue Version als ein eigenständiges und neues Produkt, weshalb es ein Update von Cubase Studio 4/5 auf Cubase Artist 6 leider nicht geben wird. Wer eine der Studio-Versionen sein Eigen nennt und Vorteile beim Kauf von Cubase 6 nutzen will, der muss auf die Vollversion upgraden.
Die Unterschiede zur Vollversion sind tatsächlich recht deutlich. So fallen die meisten „großen“ Neuerungen wie Edit-Groups, erweiterte Audio-Quantisierung und VST Expression weg. Auch das sehr komfortable VariAudio aus Cubase 5, mit dem sich monophone Audio-Aufnahmen exakt in der Tonhöhe bearbeiten lassen, gibt es nicht.
Fehlende Plug-Ins sind beispielsweise der Multiband-Kompressor, das Filtermodul Tonic und der Faltungshall REVerence. Wer darauf verzichten kann, der schont allerdings auch seinen Geldbeutel, denn Cubase Artist 6 ist im Vergleich zur Vollversion rund um die Hälfte günstiger zu haben. Comping-Funktion und VST Amp Rack sind im kleineren Paket enthalten, und wer einfach nur Aufnahmen mit ein wenig Editing machen will, kann mit dieser Version durchaus zufrieden sein.

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