Rupert Neve Designs Portico II Channel Test

Praxis

Insgesamt fünf Processing-Bausteine (wenn man De-Esser und Silk-Funktion mitzählt), 21 Potis/Drehschalter sowie 20 Schaltfunktionen bedeuten, dass hier funktionell eine Menge geboten wird – und kontrolliert werden will. Die 2HE-Frontplatte ist dicht gedrängt mit Bedienelementen, hier wird Flexibilität ganz klar sehr groß geschrieben. Das gegenüber den allerersten Rupert-Neve-Designs-Geräten deutlich verbesserte Design der aktuellen Portico-Units sorgt jedoch nicht nur dafür, dass der Portico Channel II ziemlich ansprechend aussieht, er schafft es auch, diesen großen Strauß an Funktionen sehr übersichtlich rüberzubringen. Allein schon die Tatsache, dass die Schalters mit internen LEDs beleuchtet werden, vereinfacht die Bedienung ungemein.

Rupert Neve Designs Portico II Channel im Praxistest: Was leisten Preamp, EQ und Dynamics?
Rupert Neve Designs Portico II Channel im Praxistest: Was leisten Preamp, EQ und Dynamics?

Abgesehen davon spricht nichts dagegen, sich dem Processing Schritt für Schritt zu nähern. Zuallererst sollte man eine Aufnahme mit dem vollkommen neutral eingestellten Gerät wagen, um zu sehen, was die jeweilige Recording-Situation grundsätzlich auf den Tisch legt. Und von diesem Schritt aus lässt sich das Signal dann schrittweise verfeinern – entweder direkt bei der Aufnahme, oder aber später in einem weiteren Bearbeitungsschritt, je nach Geschmack.
An vielen Ecken und Enden fallen die durchdachten Extras auf, die hier einen wirklichen „Geht-nicht-gibt’s-nicht-Approach“ kommunizieren. Ob man hier die Thru-Buchse des DI-Eingangs hervorhebt, die Möglichkeit den Hochpass in den Comp-Sidechain zu schalten, ob man erst den EQ im Signalweg hat und dann den Kompressor oder umgekehrt, der Mute-Schalter für den Channel-Ausgang, oder, oder, oder… der Portico Channel II bietet eine Menge praxisnaher Details, die man schnell nicht mehr missen möchte.

Wie auch schon von anderen RND-Geräten bekannt, bietet der VCA-Kompressor viele Gestaltungsmöglichkeiten bei einem klaren, offenen, knackigen Grundsound. Während allerdings beim Master Buss Processor die ziemlich lange minimale Attackzeit von 20 ms noch einigermaßen verständlich ist, wünscht man sich bei einem Recording-Kanalzug doch (deutlich) schnellere Ansprechzeiten. Zwar kann man die 20 ms hier über den Peak-Detection-Modus noch eine ganze Ecke herunterschrauben, aber dennoch erschließt sich mir dieses Konzept trotzdem nicht so ganz. Die Vintage-Neve-Kompressoren zählen zwar auch nicht zu den allerschnellsten Konsorten, sie gehen aber doch immer noch recht zackig zu Werke, und VCA-Kompressoren wie im Portico Channel II können ebenfalls sauschnell zupacken – wenn man sie denn lässt. Über den Peak-Modus sind Attackwerte von bis zu 0,1 ms möglich, was ausreichend schnell ist, aber trotzdem erscheint mir das Layout an dieser Stelle zumindest unlogisch, ich würde die schnellen Attackwerte auch gerne bei RMS-Detection nutzen. Somit haben wir hier also den einzigen wirklichen Schwachpunkt des Gerätes an der Angel, bei dem ich mich wirklich frage, was hier beim Hersteller konzeptionell diskutiert wurde. Gerade weil der Rest des Channels wirklich durchdacht und toll konzipiert wurde, erschließt sich hier der Hintergrund nicht wirklich. Aber davon abgesehen liefert der Kompressor VCA-typisch klare und knackige Resultate, die sich beispieslweise auch Dank der Wet/Dry-Mixfunktion und der Feedback-Feed-Forward-Umschaltung sehr flexibel anpassen lassen. Insgesamt ist dies aber kein Soundmacher-Kompressor, sondern ein flexibles Arbeitstool, was an dieser Stelle in einem solchen Kanalzug auch völlig angemessen ist.

Mit seinen vier (semi-)parametrischen Bändern bietet der EQ all das, was man sich beim Recording zur Klanganpassung wünschen kann. Und auch im Mix kann ich mir kaum Situationen vorstellen, in denen die Flexibilität dieser Einheit nicht ausreichen sollte, erst recht, da mit dem Portico Channel II Aufnahmen in einer Grundqualität gelingen, die prinzipiell nur homöopathische Korrekturen erforderlich macht. Insbesondere beim Höhen-Shelving-Filter zeigt sich die Klasse eines EQs aus der Feder von Rupert Neve. Es ist ganz einfach toll, wie seidig sich hier der Klang öffnet! Die De-Esser-Abteilung ist eine nette Zugabe, die in der Praxis ebenfalls gute Dienste leisten kann. Ein ultraflexibler Plug-In-Desser wird hier vielleicht nicht in allen Fällen ersetzt, aber es gibt doch immer wieder Situationen, wo man in der analogen Domäne de-essen möchte, und da hat man hier ein durchaus mächtiges Werkzeug an der Hand. Da sich die EQ-Bänder allesamt recht weit überlappen, vermisst man dann auch nicht unbedingt das HMF-Band des EQs, viele Aufgaben lassen sich trotzdem über die LMF- und HF-Bänder abfedern.

Audio Samples
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Vocals Vocals, Lowcut bei 100 Hz Vocals, Lowcut, Comp (Fast Attack/Release, Ratio 2:1, Feedback, Peak Detection) Vocals, Lowcut, Comp, EQ (Shelving-Boost 12 kHz) Vocals, Lowcut, Comp, EQ, De-Esser (7,5 kHz) Vocals, Lowcut, Comp, EQ, De-Esser, Silk (Red)

Schließlich rundet noch RNDs altbekannte Silk-Funktion das Processing ab. Dadurch erhält der luftig-offen-klare Sound des Portico Channel II nochmals einen anderen Dreh, der Sound wird dichter, schwerer und reibeliger, gewinnt eine muskulöse Durchsetzungsfähigkeit. Somit lässt sich der Channel nicht einfach als Feingeist abstempeln, sondern er liefert auch – fein dosierbar – etwas von dem Vintage-Fairy-Dust, den man untrennbar mit dem Namen Rupert Neve verbindet.

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